The Benjamin Project
mit Thomas Adebahr
Diet Gallery, Miami, 2009, He Xiangning Art Museum, Shenzhen, China, 2010
Walter Benjamins Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ wurde in China in Öl gemalt. Rund fünf Millionen Ölbilder – meist Kopien von Meisterwerken – werden jährlich in Dafen, einem Stadtteil der Zehnmillionenstadt Shenzhen nördlich von Hong Kong gefertigt. In den Ateliers arbeiten schätzungsweise 8000 bis 10.000 Maler.
Die genaue Zahl kennt niemand, und jedes Jahr kommen etwa hundert Neulinge dazu. Die schnellsten Akkordarbeiter malen bis zu 30 Bilder pro Tag. Geschätzte 60 Prozent der weltweit gemalten Gebrauchskunst stammen aus der vier Quadratkilometer großen Siedlung. Exportiert wird hauptsächlich in die USA und nach Europa. In Dafen, der Welthauptstadt der kopierten Kunstwerke schaffen wir ein Original, indem wir Benjamins berühmten Aufsatz malen lassen. Jeweils eine Doppelseite des Buches wird zu einem Ölbild. Jeder einzelne Buchstabe, die feine Struktur des Papiers, das Durchschimmern der Zeilen auf der Rückseite, der Falz und andere feinste Details werden von den Malern festgehalten. Es entsteht eine Serie von 38 Ölgemälden, entsprechend der als Motiv ausgewählten, 76-seitigen, jüngsten Ausgabe des Suhrkampverlages. Normalerweise fertigen die Maler in Dafen Kopien von einem Original. Auftraggeber aus aller Welt lassen berühmte Bilder von Hand kopieren, um etwas zu besitzen, das zumindest teilweise Qualitäten des Originals hat. Die Kopien profitieren von der Aura des Originals. Das Original wiederum gewinnt durch die Verbreitung als Kopie an Wichtigkeit. Wir drehen den Vorgang um: In unserem Fall ist die Vorlage für das Ölbild das tausendfach identische, technisch reproduzierte Schriftbild des Buches. Das Original entsteht erst nach den Kopien durch das „Kopieren“ der Doppelseiten eines Exemplars der vielen gleichen Bücher.