beauty and the beast
Bernstein-Mosaik, 230x133x 20cm, Kaliningrad, Moskau 2009
Kaliningrad, das ehemalige Königsberg, ist eine russische Exklave an der Ostsee, umgeben von europäischen Staaten. Als EMPFANGSHALLE die Stadt 2009 besuchte, prangte auf etlichen Wänden die Silhouette des alten Königsbergs, das im 2. Weltkrieg weitgehend zerstört wurde. In vielen Gesprächen mit den Bewohner*innen wurde die Frage der Identität Kaliningrads thematisiert. Ist man mit ganzem Herzen Russ*in? Oder doch eher Königsberger*in? Und wie zeigt man sich als moderner Kaliningrader*in? Inmitten der sozialistischen Bauten war eine ambivalente Sehnsucht nach der vergangenen Schönheit der historischen Stadt spürbar. 1967 wurde die Ruine des Schlosses gesprengt, um einem 16-stöckigen Hochhaus, dem „Dom Sowetow;“, dem Haus der Sowjets, zu weichen. Aufgrund von statischen Problemen ist es eine Bauruine geblieben und wird daher im Volksmund „Das Monster“ genannt. Gerüchten zufolge liegt darunter das verschollene Bernsteinzimmer begraben. Bernstein hat in Kaliningrad auch heute noch eine große Bedeutung, es werden dort die größten Vorkommen der Welt aus dem Ostseesand gehoben. Den „fehlenden Mosaikstein“ für die wechselhafte Identität der Stadt möchte EMPFANGSHALLE anbieten. Sie schufen aus ihren Eindrücken vor Ort ein Bild, das Motive einer mythischen Geschichte in sich vereint. So entstand ein Mosaik mit der Bernsteinkönigin von Kaliningrad vor dem Dom Sowetow, ausgeführt von örtlichen Kunsthandwerkern als vermutlich größtes Bernsteinmosaik, das jemals dort angefertigt wurde. Eine Königin, ein versunkenes Schloss, ein verschwundener Schatz und ein Monster – das sind die Zutaten, aus denen identitätsbildende Geschichten geschmiedet werden – von den griechischen Sagen bis hin zu „Game of Thrones“. Die Aktion fand im Rahmen „Art on Site“ mit dem NCCA Moskau und dem Goethe-Institut statt. Das Werk wurde im örtlichen Bernsteinmuseum sowie auf der 3. Moskau-Biennale ausgestellt.
Interview von Irina Chesnokova mit Empfangshalle
Wie hat sich Ihre Projektarbeit gestaltet?
Unsere Projektarbeit erinnerte an das Sammeln eben jenes Bernsteinmosaiks: Zu jedem einzelnen Stück Bernstein das nächste, dazu passende Stück zu suchen. Genauso haben wir unsere Eindrücke gesammelt und uns bemüht, aus ihnen ein ganzes Bild zusammen zu setzen. Uns war schnell klar, dass das Bild vom Haus der Räte für uns wichtig ist und der Ort, an dem es gebaut wurde, den ehemaligen Schlossplatz von Königsberg. Es ist ein echtes Symbol dieser Geschichte: Niemand wohnt darin, aber es existiert, und die Stadt und ihre Einwohner müssen darüber nachdenken, was sie mit ihm machen und wie sie mit ihm leben sollen.
Ist das Thema Geschichte Ihrer Meinung nach das Wichtigste in Kaliningrad?
Geschichte ist bis jetzt noch eine offene Wunde für Kaliningrad. Der Krieg und die Jahre danach leben bis heute im Gewebe der Stadt weiter. Es scheint, als ob die Menschen sich bis jetzt noch nicht mit der Stadt identifizieren konnten. Hier sind so viele historische Schichten miteinander vermischt. Erstens ist da das alte Königsberg, dessen Bild für die Einwohner sehr wichtig ist. Die russische Bevölkerung fühlt sich zu den alten Königsberger Wurzeln hingezogen. Zweitens findet man die sowjetische Epoche, während der die Reste der Altstadt zerstört und eine neue Stadt gebaut wurden. Die dritte Schicht ist die der Gegenwart mit dem Streben nach dem Neuen, mit der Werbung, mit ihrer Leuchtkraft und Dynamik. Und wir haben uns gefragt: Was könnte wohl das Symbol eines modernen Königsbergs sein? Wenn wir zur Erinnerung eine Postkarte aus Kaliningrad gekauft hätten, was wäre dann wohl darauf abgebildet gewesen? Wir beschlossen, unser ganz persönliches Kaliningrader Souvenir herzustellen. Aus seiner Geschichte haben wir den Bernstein genommen, aus der sowjetischen Vergangenheit das Haus der Räte, und die Frage nach der Gegenwart haben wir den Kaliningradern selbst gestellt.
Art on Site, NCCA Moskau und Goetheinstitut, 3. Moskau Biennale, Russland